M i t d e r K a m e r a v o n K ö l n n a c h P a l ä s t i n a A l i j a und Hachs chara , S E I T E 1 1 8 Leopold Schönenberg Einer von ihnen war Leopold Schönenberg. Nach seinem im vorherigen Kapitel dargestellten jugendbewegten Engagement im „Bund deutsch-jüdischer Jugend“, insbesondere aber nach seinem Wechsel zu den „Werkleuten“ und seiner Mitgliedschaft im „Jüdischen Nationalfonds“ war es nur konsequent, dass auch er sich immer stärker in Richtung Palästina orientierte und in seiner am 15. November 1935 angetretenen Lehrstelle als Schlosser wohl nur einen notwendigen Zwischenschritt, keinesfalls jedoch mehr eine Zukunftsperspektive sah. Es bleibt - wie so Vieles auf dem Weg zur Entscheidung hin zu seiner Auswanderung nach Palästina142 - allerdings unklar, was mit dem Beginn der Schlosserlehre intendiert war. Man habe sich, so erinnerte sich Reuwen Schönenberg später, in der Zeit des „großen Umschwungs“, als den er das Jahr 1935 stets empfand, in sehr kurzer Zeit für eine bestimmte Richtung entscheiden müssen. Wohl nicht zuletzt, um sich nach dem Abgang vom Gymnasium eine Atempause zu verschaffen, kamen Vater und Sohn überein, dass das Erlernen eines praktischen Berufs in einer Werkstatt zunächst eine gute Option mit Perspektive darstellen würde. „Da hatte mein Vater Beziehungen zu Eugen Tarrasch, dem Inhaber einer Lokomotiv-Reparaturwerkstatt in Braunsfeld. Da sagte er: ‚Da kommst Du rein. Du musst einen praktischen Beruf lernen.‘“143 Dieser Schritt folgte aber wohl allein praktischen Erwägungen, nicht jedoch einer ausgereiften Strategie. Jedenfalls betonte Reuwen Schönenberg, dass es sich bei dieser Tätigkeit keinesfalls um einen integ142 Dass Palästina zu dieser Zeit wohl insbesondere bei Vater Max Schönenberg noch immer nicht die erste Wahl war, geht indirekt aus einem Schreiben hervor, dass er Anfang 1941 an Alfredo Hirsch in Buenos Aires richtete. Darin hieß es: „Vor 4 Jahren baten wir Sie, sich unseres Jungen anzunehmen. Sie lehnten aus verständlichen Gründen die Verantwortung für einen gerade den Kinderschuhen entwachsenen Jungen ab. Da wir damals schon wussten, dass es unmöglich sei, einen heranwachsenden Menschen dem seelischen Druck der hiesigen Atmosphäre auszusetzen, brachten wir ihn nach Palaestina, das als einziges Land ihm damals Aufnahmemöglichkeit bot.“ (Max Schönenberg an Alfredo Hirsch, 23.1.1941. 143 Audio-Interview mit Reuwen (Leopold) Schönenberg, NS-DOK, Tk933, ab 42:37. bis Ende März 1939, insgesamt 3.262 Jugendliche aus Deutschland und einigen europäischen Transitländern nach Palästina gebracht werden. Hinzu kamen knapp 1.000 Jugendliche aus Österreich und rund 400 aus der Tschechoslowakei und Polen. Während dieser Zeit gingen rund 15 Prozent aller britischen Einwanderungszertifikate an Angehörige der Jugend-Alija. Die weitaus meisten der Ankömmlinge wurden - wie von Beginn an ins Auge gefasst - in Kibbuzim untergebracht, was deren durchschnittliche Einwohnerzahl von 66 Bewohnern im Jahr 1927 bis 1935 um etwa 250 Prozent auf 146 ansteigen ließ.139 Allerdings schwanken die konkreten Zahlenangaben zur Jugend-Alija nicht unerheblich. So kommt eine Untersuchung auf insgesamt 4.788 Kinder und Jugendliche, die bis zum Kriegsbeginn nach Palästina gelangten; weitere 2.618 konnten demnach noch bis zum Kriegsende gerettet werden. Von diesen insgesamt 7.406 Heranwachsenden stammten 4.897 aus Deutschland, 2.515 aus Österreich und der Tschechoslowakei. Eine weitere Studie gibt für den Zeitraum bis Oktober 1939 dagegen 5.024 Jugendliche an, von denen rund 70 Prozent aus Deutschland kamen. Zu diesen seien bis zum Kriegsende weitere 6.500 Jugendliche aus Europa hinzugekommen, die mit Hilfe der Jugend-Alija gerettet worden seien.140 Nach dem aktuellen Stand der Forschungen kann nach den Erkenntnissen von Ulrike Pilarczyk davon ausgegangen werden, dass es bis 1940 durch die Arbeit von Hachschara und Jugend-Alija gelungen ist, die Emigration von mindestens 12.000 Jugendlichen und jungen Erwachsenen aus Mitteleuropa ins Mandatsgebiet Palästina zu ermöglichen.141 139 Vgl. Loewy, Jugend, S. 15f. und Edlinger, Geschichte, S. 39f. Nachdem die Berliner Arbeitsgemeinschaft bis zum April 1936 rund 1.000 Jugendliche aus Deutschland nach Palästina geschickt hatte, setzte sie sich zum Ziel, künftig „in jedem Jahr tausend Jugendliche nach Palästina zu bringen, ihnen Erziehung, Unterricht und Ausbildung im Lande zu gewähren, sie zu produktiver Arbeit in Erez Israel zu führen“. Etwa 80% aller Jugendlichen wurden in Gruppen in einer Größenordnung zwischen 13 und 60 von der „Jüdischen Jugendhilfe“ vorbereitet. 140 Zu den Zahlen vgl. mit genauen Nachweisen Pilarczyk, Gemeinschaft, S. 114. 141 Vgl. Pilarczyk, Hachschara, S. 12.
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