M i t d e r K a m e r a v o n K ö l n n a c h P a l ä s t i n a A l i j a und Hachs chara , S E I T E 1 1 9 wenig Licht ins Dunkel bringen. „Zuerst wurde ich für einen Monat in ein Hachschara-Lager geschickt, um mich auf die Bedingungen in Palästina landwirtschaftlich vorzubereiten. Das war in Rüdnitz bei Berlin. Das war nicht von den Werkleuten. Das ging von der Reichsvertretung aus. Es war eine zentrale Zuteilung. Ich weiß nicht mehr genau von wem.“147 Die Entscheidung zur Auswanderung muss um die Jahreswende jedenfalls recht schnell getroffen worden sein, denn schon am 24. Mai 1936 notierte Max Schönenberg in sein Tagebuch, dass „unser Pold“ am gleichen Tag nach Rüdnitz aufgebrochen sei. „Dort findet ein Vorbereitungslager für Palaestina statt. In den 4 Wochen dort werden die Jungens geprüft, ob sie körperlich und seelisch geeignet sind. Normalerweise folgt dann einige Monate später die Übersiedlung mit der Jugend- Alijah.“ Angesichts der aktuellen Lage zeigte Max Schönenberg seine Entschlossenheit, sich das Heft des Handelns keinesfalls aus der Hand nehmen zu lassen. „Aber bei den gegenwärtigen Unruhen, die ganz Palaestina erschüttern, habe ich mir die Entscheidung vorbehalten. Wenn die Araber sich durchsetzen, wenn das jüdische Aufbauwerk scheitern sollte, so wäre das ein entsetzlicher Schlag für uns Juden.“148 - Leopolds Auswanderung, so offenbar der Stand Ende Mai 1936, hing also nicht zuletzt vom weiteren Verlauf des „Arabischen Aufstands“ ab, der ja unmittelbar zuvor im April seinen blutigen Anfang genommen hatte. Über den Alltag, wie Leopold ihn in Rüdnitz erlebte und wahrnahm, ist wenig überliefert. Zwar beschrieb er in Briefen die Arbeitsabläufe und den Tagesablauf, doch sind diese an die Eltern und Großmutter Emma Kaufmann gerichteten Schreiben leider nicht erhalten.149 Man lese sie 147 Audio-Interview mit Reuwen (Leopold) Schönenberg, NS-DOK, Tk933, ab 52:25. 148 Tagebuch Max Schönenberg, Eintrag vom 24.5.1936. 149 Eine vergleichbare, aber überlieferte Korrespondenz führte der gleichaltrige Ernst Loewy mit seiner Familie in Krefeld. Die familiären Parallelen erscheinen erstaunlich: Beide blieben Einzelkinder, besuchten in Köln bzw. Krefeld zunächst die Jüdische Volksschule, um 1930 jeweils auf ein Realgymnasium zu rativen Bestandteil seiner Hachschara gehandelt habe.144 Offenbar beschritt er zur Jahreswende 1935/36 zwei Wege parallel: Neben das Sammeln erster praktischer Berufserfahrungen im Rahmen einer Art privater „Berufsumschichtung“ trat offenbar die offizielle und formale Bewerbung um einen Platz in der Jugend-Alija.145 Das übliche Procedere sah hierfür einen Antrag vor, der über den Kölner Hechaluz, die „Bezirksstelle Rheinland für Berufsumschichtung“ oder den Ortsgruppenleiter des eigenen Bundes - in seinem Fall also der „Werkleute“ - zunächst an den nationalen Hechaluz und von dort an die zentralen Vermittlungsstellen in Berlin weitergereicht wurde.146 Für welchen dieser Wege Familie Schönenberg sich letztlich entschied, ist nicht überliefert, und auch die Erinnerungen von Reuwen Schönenberg konnten in diesem Punkt nur 144 In diesem Punkt gab es offenbar enge Absprachen zwischen Max Schönenberg und Paul Spier, den eng befreundeten Vätern von Leopold und Otto. Letzterer erinnerte sich später: „Mein Vater sagte: ‚Du brauchst einen Beruf, du kannst sowieso nicht fertiglernen. Du musst zumindest etwas Praktisches mitnehmen.‘ Wir suchten also eine Lehrstelle für mich. Aber zuerst schickte mich mein Vater, der in jeder Richtung weitsichtig war, in den letzten großen Ferien zu zwei Praktikantenstellen. Zum einen machte er durch meine Verwandten in Rommerskirchen einen christlichen Bauern ausfindig, bei dem ich in der Landwirtschaft als Volontär arbeiten sollte. Dort habe ich dann in den Ferien richtig mit den Knechten zusammen gearbeitet, um zu sehen, wie es in der Landwirtschaft zugeht. Und als zweites schickte mich mein Vater zu einem Tischler, der für uns gearbeitet hatte und eine große Werkstatt in der Riehler oder Niehler Gegend besaß.“ Auch in diesem Fall hatten diese praktischen Tätigkeiten formal nichts mit der Hachschara zu tun, sondern entsprangen privater Initiative. Anschließend fand Paul Spier für seinen Sohn - auch hierin mit seinem Freund Leopold vergleichbar - eine Lehrstelle in einer Autoschlosserei. (Vgl. zur Lebensgeschichte von Otto Spier ausführlicher https://quellen.verschwundenes-sichtbar.de/info.aspx?id=37741. 145 Eine vergleichbare, aber überlieferte Korrespondenz führte der gleichaltrige Ernst Loewy mit seiner Familie in Krefeld. Die familiären Parallelen erscheinen erstaunlich: Beide blieben Einzelkinder, besuchten in Köln bzw. Krefeld zunächst die Jüdische Volksschule, um 1930 jeweils auf ein Realgymnasium zu wechseln, das sie 1935 ebenfalls gleichzeitig wieder verließen, weil der Antisemitismus auch in den Schulen überhandgenommen hatte. Während Leopold danach zunächst eine private Schlosserlehre aufnahm, entschieden sich die Loewys bereits 1935 zur Teilnahme an der Jugend-Alija, woraufhin Ernst noch im Herbst einen Vorbereitungskurs in Schniebienchen absolvierte, während Leopold aus diesem Anlass erst im Mai 1936 nach Rüdnitz fuhr. Der umfangreiche, die Jahre zwischen 1935 und 1938 umfassende Briefwechsel der Familie Loewy wird zur Zeit in einer Kooperation zwischen Deutschem Exilarchiv und NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln für eine digitale Edition vorbereitet. Er wird künftig unter https://quellen.verschwundenes-sichtbar.de/info.aspx?id=62823 einsehbar sein. 146 Vgl. Döpp, Jugendbewegung, S. 188.
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