M i t d e r K a m e r a v o n K ö l n n a c h P a l ä s t i n a D i e L udw i g T i e t z - L e hrwe rks tat t, S E I T E 1 4 4 bleiben, daneben müsse aber „immer stärker die Erziehung des handwerklichen Nachwuchses in den Bereich nationaler Förderung und Planung“ treten. Die Begründung hierfür wurde umgehend mitgeliefert: „Die Qualitätsanforderung und der Geschmack der neuen Alija, der Sinn für gute und genaue handwerkliche Arbeit, das Bedürfnis nach komfortabler Ausstattung von Häusern und Wohnungen haben der handwerklichen Arbeit einen entschiedenen Anstoß gegeben.“ Hier gab es großen Nachholbedarf, denn die Qualität der in Palästina geleisteten handwerklichen Arbeit liege „im Allgemeinen weit unter dem europäischen Durchschnitt“.179 Um diesem Missstand zu begegnen, hatte man auf jüdischer Seite bereits eine Handwerkerschule im Rahmen des Technikums in Haifa und die Max Pein-Schule der Gewerkschaftsbewegung „Histadruth“ in Tel Aviv ins Leben gerufen, die der „Heranbildung des Schlossernachwuchses“ dienen sollten, sich Mitte 1937 aber „noch im Stadium des Aufbaus“ befanden. Da der Bedarf weitaus höher lag, waren die Reichsvertretung, die Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugend-Alija, der Central-Verein (C.V.), der Hilfsverein der Juden in Deutschland und die Berliner Jüdische Gemeinde übereingekommen, als „Gemeinschaftsleistung“ eine weitere derartige Einrichtung im Norden Palästinas zu errichten. Daraufhin erbaute der Architekt Tibor Schön nach Plänen von Erich Mendelsohn und des Ingenieurs Erich Kempinskys im Kibbuz Jagur 1935/1936 eine neuartige Lehrwerkstätte mit angeschlossenem Internat, die nach dem ehemaligen, 1933 aus dem Leben geschiedenen stellvertretenden C.V.-Vorsitzenden Ludwig Tietz benannt wurde.180 Die neue Einrichtung wer179 Reichsvertretung, Eröffnung, S. 10. Dort, S. 11ff. auch das Folgende. 180 Zur Person von Tietz vgl. ausführlich Horn, Jugend. Jagur ist ein am 30.12.1922 von jüdischen Pionieren am Ostrand des Karmelgebirges an der Straße Haifa–Nazareth gegründeter Kibbuz. Die ersten Siedler legten die Sümpfe am Fluss Kischon trocken, um auf dem so gewonnenen Land einen landwirtschaftlichen Betrieb anzulegen. Die Siedlung war lange Zeit die größte Kollektivsiedlung im Land mit incl. der Insassen der Lehrwerkstatt knapp 1.000 Bewohnern im Jahr 1937 (vgl. C.V.-Zeitung, 3.6.1937, S. 13) und ist mit 1.604 D i e Lehrwerkstatt: Entstehung und Anspruch „60 Jugendliche aus Deutschland wurden durch die ‚Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugend-Alija‘ nach Palästina gebracht, um in die neuerbaute Schule einzuziehen. Diese 60 Jugendlichen absolvieren drei Jahre lang eine fachmännische handwerkliche Berufsausbildung. Sie werden nicht nur gute Schlosser, Schmiede und Tischler werden, sie werden auch zwischen palästinensischen Bauern leben, sich jüdisches Wissen aneignen, sich mit dem Landleben verbinden.“ So stellte Eva Stern in einer anlässlich der Eröffnung der Lehrwerkstatt herausgegebenen Broschüre Beginn und Programm der neuen Einrichtung vor. Für die hier unterrichteten Jugendlichen, da gab sie sich sicher, stelle die Ludwig Tietz-Lehrwerkstatt „eine fast einzigartige Ausbildungsmöglichkeit“ dar.178 Ihre Entstehung verdankte sich vor allem der Erkenntnis, dass allein auf die Landwirtschaft fokussierte „Umschichtung“ auf Dauer den Erfordernissen des in Entstehung begriffenen jüdischen Staates nicht genügen konnte. Sie würde, so wurde betont, zwar „auch weiterhin das Kernstück“ aller entsprechenden Bestrebungen doch interessante Einblicke in das Leben in Palästina. Sie werden im Folgenden immer wieder herangezogen und in die Darstellung integriert. Dabei gilt es allerdings auch zu berücksichtigen, dass Leopold Schönenberg offenbar alles andere als ein fleißiger Briefeschreiber war. Schon direkt zu Beginn beklagte sich Mutter Erna über dessen Schreibfaulheit, wobei er sich in diesem Punkt - zumindest laut Darstellung der Mutter - deutlich vom mitgereisten Freund Otto Spier unterschied, der neben seinen eigenen Eltern und den Schönenbergs „so überaus viel Freude mit seinen Schilderungen von Land und Leute machte“. Wäre Otto nicht gewesen, so beklagte sich Erna Schönenberg, „dann hätten wir uns große Sorge gemacht deinetwegen, so wußten wir, daß Du gesund warst“. (Erna Schönenberg an Sohn Leopold, 2.3.1937.) Derartige Klagen über eine geringe Schreibbereitschaft klingen immer wieder an. 178 Reichsvertretung, Eröffnung, S. 33. Die zur Eröffnung von der Reichsvertretung der Juden in Deutschland herausgegebene Broschüre ist hier einsehbar: https://juedisches-leben.editionen-zur-geschichte.de/ info.aspx?id=62886. Tatsächlich war die Einrichtung hochrangig besetzt. Die Leitung der Gesamtarbeit lag in den Händen eines Kuratoriums, dem in Palästina I. Idelson, Dr. Max Kreuzberger, Dr. Georg Landauer, Dr. Arthur Ruppin, Dr. Werner Senator und Henrietta Szold angehörten. In Deutschland waren Dr. Leo Baeck, Friedrich Borchardt, Dr. Otto Hirsch, Dr. Georg Josephsthal, Dr. Georg Lubinski, Wilhelm Marcus, Dr. Siegfried Moses und Dr. Mark Wischnitzer Mitglieder des Kuratoriums. (Vgl. ebenda, S. 5.)
RkJQdWJsaXNoZXIy MTI5NTQ=