Mit der Kamera von Köln nach Palästina

M i t d e r K a m e r a v o n K ö l n n a c h P a l ä s t i n a D i e L udw i g T i e t z - L e hrwe rks tat t, S E I T E 1 5 1 zum Ausdruck, dass die Hochzeit und die Brit Mila, die acht Tage nach der Geburt vorzunehmende Beschneidung jüdischer Jungen, an ein und demselben Tag gefeiert würden, was nichts anders hieß, als vorehelicher Geschlechtsverkehr offenbar an der Tagesordnung war. Der schwerwiegendste Einwand, den Ernst Loewy gegen das Leben im Kibbuz erhob, richtete sich gegen die Beschränkungen jeglicher Individualität: „Meiner Ansicht nach ist das Leben in der Kwuzah sehr unfrei, der einzelne Mensch hat keinen eigenen Willen mehr, was er tut, ist alles nur für die Kwuzah. Persönliches und Privates, soweit es das überhaupt gibt, kommt immer weit nach dem Allgemeinen.“ Das widersprach diametral Allem, was man ihm in Krefeld zuvor vermittelt hatte. „Ich glaube, daß der Mensch auch persönliche Ziele haben muß“, die es in der Kwuza aber eben nicht gäbe. „Um einWochen praktischer Erfahrungen ab, bis er seine individuelle Einschätzung der vorgefundenen Verhältnisse zu Papier brachte. „„Über das ganze innere Leben der Kwuzah“, so eröffnete er seine Analyse, sei er „persönlich äußerst enttäuscht“ und hielt mit deutlichen Urteilen nicht hinter dem Berg. „Die Menschen, die hier leben, sind reine Proletarier, die weiter nichts kennen als nur ihre Arbeit, das Essen und das Schlafen - an geistigen Dingen haben sie nicht das geringste Interesse.“ Dass man es im Kibbuz mit „reinstem Proletariat“ zu tun habe, so erläuterte und belegte er seine Sicht der Dinge, käme in vielen Dingen zum Ausdruck, wobei ihm insbesondere der „sehr, sehr kleine Lebensstandard“ ins Auge stach. „Man ist mit dem Geringsten hier zufrieden. Anstatt sich das Leben hier einigermaßen angenehm zu gestalten, legt man jeden Piaster fort.“ Mit allem werde „gegeizt“. Was dem 16-Jährigen aus bürgerlichem Elternhaus und zumindest einem Teil der mit ihm Eingereisten ebenfalls überhaupt nicht behagte, waren die politischen Anschauungen seiner neuen Mitbewohner im Kibbuz. „Die Politik, die diese Leute treiben, paßt uns gar nicht.“ So zeigte er sich geradezu empört, dass anlässlich der Feier des 1. Mai „im Eßraum ein Transparent gehangen hat mit der Aufschrift: ‚Arbeiter aller Länder, vereinigt Euch!‘“ Obwohl sich die Kibbuz-Bewohner bereit erklärt hätten, „unseretwegen auf die ‚Internationale‘ zu verzichten“, habe er mit seiner Gruppe von Neuankömmlinge aus Protest nicht an der Feier teilgenommen. Auch über das „Familienleben“ in der Kwuza hatte Ernst Loewy vor dem Hintergrund seiner persönlichen Erfahrungen und dedr moralischen Standards im heimischen Krefeld vorwiegend Negatives zu berichten. „Der Mann und die Frau sind fast nie zusammen. Eine eigentliche Familie gibt es kaum. Familie ist eben die ganze Kwuzah.“ Leider, so bestärkte er seine ohnehin durchweg negativen Eindrücke, habe sich auch die Warnung seines Vaters Richard bewahrheitet, „daß die Moral in der Kwuzah nicht allzu gut“ sei. Das komme in seinem Kibbuz beispielsweise darin Ernst Loewy (Mitte) am Tag vor seiner Emigration mit seinen Eltern Erna und Richard, 21. März 1936

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