M i t d e r K a m e r a v o n K ö l n n a c h P a l ä s t i n a D i e L udw i g T i e t z - L e hrwe rks tat t, S E I T E 1 5 2 ren, mit welchen Gefühlen Ihr Palaestina betreten habt. Und von Jagur wollen wir sehr, sehr viel wissen, von dem Ort, von der Schule, von dem Betrieb in der Schule, von Eurem Wohnen, Essen, Trinken, von Euren Unterhaltungen und Interessen“, teilte Max Schönenberg seinem Sohn bereits am 7. Februar 1937 mit - also einen Tag, bevor dessen Gruppe in Haifa überhaupt erst an Land ging. Es mischte sich aber bereits erste Skepsis über das zu Erwartende in sein Schreiben. Aus einem Brief des mit Leopold ausgewanderten Otto Spier, so hieß es, habe man erfahren, „daß Ihr über Privateigentum und gemeinsamen Besitz gesprochen habt“. Hier sahen Max und Erna Schönenberg einen ersten Grund für eine deutliche Intervention. „Es ist ganz selbstverständlich, daß die Ausrüstungsgegenstände, die Deine und viele andere Eltern unter materiellen Opfern, deren Größe Ihr nicht beurteilen könnt, für Euch, ihre Kinder, beschafft haben, auch nur im Sinne der Eltern – also für den Einzelnen – verwandt werden sollen.“ Das sei bei Lebensmittelpaketen natürlich anders, die „selbstverständlich mit den Kameraden“ zu teilen seien. Das dürfe aber keinesfalls so weit gehen, dass „das Teilen als moralische Forderung“ verstanden werde, denn wenn jeder, „der mehr hat, seinen Besitz verteilen müßte, so würde bald jeder Fleiß und jedes Streben einschlafen, da man ja beim bequemen Arbeiten schließlich ebenso viel bekäme“.191 Aus dem Inhalt der in den ersten Monaten von dessen Palästina-Aufenthalt an Leopold gerichteten Eltern-Briefe lassen sich die zentralen Themen destillieren, die die Beteiligten in der Anfangsphase bewegten. Das Thema des gemeinsamen Besitzes blieb dabei stets virulent. Mit der von den Jugendlichen in Jagur geführten „gemeinsamen Kasse“ erklärte sich Max Schönenberg insoweit einverstanden, dass „jeder seine überflüssigen Pfennige“ hineintue, nicht aber damit, dass jeder alles abgeben sollte, was er besaß. Dahinter stand der für ihn unverrückbare 191 Max Schönenberg an Sohn Leopold, 7.2.1937. mal zusammenzufassen - in der Kwuzah gibt es weder Freiheit noch Eigentum - nur einige Rechte, viele Pflichten und noch mehr Verzichte. Ich muß Euch leider sagen, daß mir das Leben in einer Kwuzah nicht gefällt.“ - Bei seiner Generalkritik war sich Ernst Loewy nur zu bewusst, dass die Neuankömmlinge der Jugend-Alija in all diesen Dingen immerhin noch eine bevorzugte Behandlung erfuhren. „Für uns natürlich ist es etwas anderes. Wir sind noch jung und haben es sehr gut hier - viel besser als die Chawerim der Kwuzah. Wir sind wie in einer Schulklasse - allerdings in einer Schulklasse von Freunden.“ Dennoch schienen seine Schlussfolgerungen aus gerade einmal fünf Wochen Kibbuz-Aufenthalt in ein unverrückbares Urteil zu münden: „Daß ich aber nicht mein ganzes Leben in einer Kwuzah bleibe, dessen bin ich mir schon jetzt ziemlich sicher. Nicht das Landleben ist es, welches mir nicht gefällt, sondern das Leben in diesen Formen.“190 - Tatsächlich sollte Ernst Loewy den Kibbuz recht bald und dauerhaft wieder verlassen. Auch in der Venloer Straße 23 in Köln war die Wissbegierde groß: „Wir sind gespannt zu hö190 Loewy, Jugend, S. 56ff. Vgl. dazu die gesamte in den „Editionen zur Geschichte“ als Faksimile und in Transkription zugängliche Korrespondenz der Familie Loewy aus den Jahren 1935 bis 1938 unter https://quellen.verschwundenes-sichtbar.de/info.aspx?id=62823. Vgl. hierzu auch Hitzeman, Jugend-Alijah. Arie Appel brachte gänzlich andere Empfindungen zu Papier. Er resümierte das erste im Kibbuz Ein Charod zugebrachte Jahr seiner Jugend-Alija als Schritt auf dem Weg zu einer „inneren Revolution“, die die Vielzahl der hier bereits angedeuteten Änderungen umfassen sollte: „Ist es nicht unbegreiflich, dass eine ganze Generation sich in jeder Hinsicht von ihrer Vergangenheit trennt und für sich selbst und diejenigen, die folgen werden, ein neues Leben baut, auf einer neuen materiellen und spirituellen Grundlage? Ich würde nicht sagen, dass die eigentliche Alija, also der Umzug von einem Land in ein anderes, diesen Wandel bewirkt. (…) Aber ich glaube, dass zwei Jahre in der Kibbuz-Atmosphäre, in die wir offen und lernwillig eingetreten sind, der erste Schritt auf diesem Weg zur inneren Revolution sind.“ Andere Mitglieder der Gruppe betonten hingegen eher die Unsicherheit der Jugendlichen und lehnten den auf die Mitglieder ausgeübten Druck ab, bereits zu einem derart frühen Zeitpunkt über grundsätzliche ideologische Fragen und die Zugehörigkeit zum Kibbuz zu entscheiden. „Wer von uns, die wir hierhergekommen sind, hat denn bereits einen klaren Weg vor sich gesehen?“, fragte Elijahu, und auch Dan Sirkin wandte sich gegen den bestehenden Druck der Kibbuz-Mitglieder auf die Jugendlichen, sich sofort in die dort präferierten politischen Organisationen einzufügen. Stattdessen wünschte er sich eine weiterhin bestehende Vielfalt der Meinungsbildung auch durch Diskussion und kollektiven Austausch über „den richtigen Weg“. Das aber schloss jede Form von Dogmatismus aus. (Zitiert aus einer Sonderausgabe der Zeitschrift „Alijat Hanooar“ nach Szamet, Jahr, S 208.)
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