Mit der Kamera von Köln nach Palästina

M i t d e r K a m e r a v o n K ö l n n a c h P a l ä s t i n a D i e L udw i g T i e t z - L e hrwe rks tat t, S E I T E 1 5 3 sondern eigenständig Lösungen zu diskutieren und zu finden. Dass löste insbesondere bei Max Schönenberg die höchste Alarmstufe aus, denn „da Ihr noch ohne jede Weltkenntnis und Menschenerfahrung seid, so würdet Ihr gewiß manche falschen Wege einschlagen“.194 Dabei war er sich bewusst, dass das seinerseits von Leopold erwartete Verhalten unter den Bedingungen der neuen Umgebung einer gefährlichen Gratwanderung gleichkam. Andererseits war ihm aber natürlich auch klar, dass sein väterlicher Einfluss in der Anfangsphase von dessen Palästina-Aufenthalt zwar wohl noch am größten war, sein Sohn sich aber zwangsläufig und nahezu alternativlos schrittweise in das dortige Leben integrieren musste. Als der dann selbst erste kritische Signale über sein Wohlbefinden sandte, sah er sich veranlasst, Leopold auch auf die Gefahren hinzuweisen, die ein Rückzug in eine selbstgewählte Isolation in sich barg. Als er nach nahezu halbjährigem Aufenthalt in der Ludwig Tietz-Lehrwerkstatt im Juli 1937 mitteilte, er könne „auch ohne Chewrah auskommen und ganz gut ein Einzelleben führen“, warnte er ihn umgehend: „Aber, lieber Pold, das ist nicht gut. ‚Der Mensch ist ein geselliges Wesen‘, hat ein griechischer Weiser vor 2½ tausend Jahren gesagt. Und so muß es auch sein und bleiben.“195 Soweit das aus den erhaltenen Briefen abzulesen ist, hat es den Anschein, dass die aus Köln gegebenen Ratschläge immer stärker dahin tendierten, einen vermittelnden Ausgleich zwischen möglichen Extremen zu schaffen und begehbare Brücken zwischen oft doch sehr unterschiedlichen Welten und Meinungen zu bauen. Während „Fanatismus und Radikalismus“ alles aus „einem engen Blickfeld“ heraus betrachten und beurteilen würden, so warnte Max Schönenberg seinen Sohn Ende August 1937, liege die Wahrheit zumeist in der Mitte. „Wir wollen den Glauben an die Höherentwicklung der gesamten Menschheit nicht verlieren.“ Auslöser 194 Max Schönenberg an Sohn Leopold, 20.3.1937. 195 Max Schönenberg an Sohn Leopold, 25.7.1937. „Grundsatz, daß der Fleißige und Tüchtige nicht für den Faulen mitarbeiten soll“, der sich eben auch in Privatbesitz und Privateigentum auspräge. „Und der Grundsatz muß auch jetzt schon bei Euch gelten, obwohl ihr zunächst ja noch nichts selbst verdienen könnt.“192 Zwar hielt es der besorgte Vater für durchaus richtig, „daß Jungens aus verschiedenen Kreisen bei Euch gemeinsam hausen, leben und arbeiten“, denn der Wert eines Menschen hänge „nicht von seiner gepflegteren Jugendzeit ab“. Aber dennoch schlage eine gute Erziehung positiv zu Buche, wobei man im Kölner Elternhaus hinsichtlich des Gemeinschaftslebens die Gefahr ausmachte, „daß der bessere Teil sich allmählich dem schlechteren anpaßt, statt dass „die besser Erzogenen als Vorbilder nachgeahmt“ würden.193 Generell schienen die Schönenbergs in Jagur den Einfluss von Autoritäten zu vermissen, was dazu führe, dass viele der noch „unfertigen“ Jugendlichen ihre „Bedeutung“ überschätzen würden. All das würde der „uralten Weisheit“ widersprechen, dass jeder der befehlen wolle, zunächst gehorchen lernen müsse. All das erfordere, dass sich „eine Gruppe der Vernünftigen“ zusammenfinden müsse, die „falsch verstandener Kameradschaft“ entgegenwirken könne und Garant dafür werde, dass „das erste Gesetz jeder Gemeinschaft“ eingehalten werde, „nämlich Respekt zu haben vor den selbst gegebenen Gesetzen, vor den selbst gewählten bzw. durch Alter und Erfahrung selbstverständlichen Führern“. All diese Belehrungen waren Reaktionen auf Schilderungen, die Leopold zuvor vom Leben in Jagur nach Köln übermittelt hatte. Darin waren offenbar auch Einflussversuche einzelner zur Sprache gekommen, die dazu aufforderten, sich „mit allen Dingen und Fragen“ nicht zuerst an die weit entfernten Eltern zu wenden, 192 Max Schönenberg an Sohn Leopold, 18.2.1937. Die Diskussion hinsichtlich des Themas der „richtigen“ Wirtschaftsform führten insbesondere Vater und Sohn über einen längeren Zeitraum. Sie wird hier später im Kapitel „Gemeinschaftsleben und Pubertät“ erneut aufgegriffen und vertieft. 193 Max Schönenberg an Sohn Leopold, 1.3.1937.

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