M i t d e r K a m e r a v o n K ö l n n a c h P a l ä s t i n a D i e L udw i g T i e t z - L e hrwe rks tat t, S E I T E 1 5 4 Einstellung in sich: „Also, lieber Pold, ich kann und will Dir nicht sagen, so mußt Du denken und handeln, sondern Dich nur bitten, kühlen Kopf zu behalten und Dich nicht fanatisieren zu lassen, Dich keiner radikalen Partei anzuschließen. Vor allem in den nächsten Jahren nicht, da Du ja die schwierigen Fragen noch gar nicht durchschauen kannst, sondern sie mit den Augen Deiner älteren Kameraden siehst.“197 Der Aufruf zur Zurückhaltung resultierte in erster Linie natürlich aus der angespannten Lage im Nahen Osten. „Mit großem Bedauern“, so schrieb Leopolds Großmutter Emma Kaufmann im Oktober 1937, lese sie „von den augenblicklichen Unruhen in Palästina“, über die selbst der „Kölner Stadt-Anzeiger“ in großer Aufmachung berichten würde. Zugleich gab sie ihrer Hoffnung Ausdruck, dass ihr Neffe und dessen Mitauswanderer „möglichst geschützt“ seien und „in dieser Zeit keine Fahrten ins unruhige Gebiet“ unternehmen würden.198 Tatsächlich war die Lage auch in Jagur nicht ungefährlich, denn im November berichtete Leopold von einem arabischen Angriff auf einen jungen Mann aus dem Kibbuz, worauf Vater Max umgehend zur Besonnenheit aufrief: „Es gibt da viele Möglichkeiten. Der eine kann dadurch ängstlich werden, bei anderen wird die Entschlossenheit, sich nicht unterkriegen zu lassen, gestärkt, ein Dritter hält es für richtig, die Araber zur Erkenntnis zu bringen, dass wir ihr Land wertvoller machen, und sie dadurch zu versöhnen.“ Mutter Erna ergänzte besorgt: „Wenn man nur den Lichtblick hätte, daß bei Euch Ruhe und Ordnung und gedeihliches Vorwärtskommen wäre.“199 Als die Eltern angesichts der eskalierenden Unruhen dann ab Anfang 1938 allerdings versuchten, ihren Sohn dazu zu bewegen, parallel zum Neuanfang in Palästina bereits Vorkehrungen zu treffen, die ihm eine Weiterwanderung in 197 Max Schönenberg an Sohn Leopold, 27.8.1937. 198 Emma Kaufmann an Enkel Leopold, 9.10.1937. 199 Max und Erna Schönenberg an Sohn Leopold, 12.11.1937. für diesen Vater-Sohn-Dialog waren offenbar Diskussionen, die man in Jagur hinsichtlich der politischen Vorstellungen von Wladimir Jabotinsky führte, der 1923 das Bild einer gegen die Araber gerichteten „Eisernen Mauer aus jüdischen Bajonetten“ geprägt und zwei Jahre später den „Bund Zionistischer Revisionisten“ ins Leben gerufen hatte. Mitte der 1930er forderte er einen jüdischen Staat beidseits des Jordans und eine großangelegte jüdische Einwanderung nach Palästina, um so die jüdische Diaspora in Europa aufzulösen und zugleich eine starke jüdische Armee zu gründen. Entsprechend aktiv und aggressiv agierte Jabotinsky im Rahme des „Arabischen Aufstands“ und übernahm 1937 den Oberbefehl über die jüdische Untergrundbewegung „Irgun“, die für zahlreiche Attentate auf Araber und Briten verantwortlich zeichnete.196 Die Jugendlichen in Jagur diskutierten das Für und Wider der Position Jabotinskys im aktuellen und eskalierenden Konflikt mit den Arabern, was Max Schönenberg nicht nur veranlasste, zur Mäßigung aufzurufen, sondern ihn auch zu einem bemerkenswerten Vergleich motivierte. „Alles was mit Gewalt, Terror und Unterdrückung erreicht wird, führt zu nichts Gutem“, stellte er einleitend fest, und gerade das müsse „man einem Juden nicht erklären“. Daher dürfe, so seine dezidierte Meinung, „auch die Araberfrage nicht mit nationalsozialistischen (Ihr sagt revisionistischen) Methoden angefaßt werden“. „Gewiß tut es dem Herzen Wohl, die Reden eines Zabotinsky zu hören, und ich kann mir vorstellen, daß begeisterte Juden ihm Beifall zollen. Aber ist Beifall ein Beweis für die Richtigkeit? Du hast doch im Radio oft genug gehört, wie begeisterte Massen bei Hitlers Reden in nicht enden wollenden Beifall ausbrechen. Hat Hitler darum Recht??“ Der hieraus resultierende väterliche Rat war ausgewogen und der Situation wohl angemessen, trug aber natürlich dennoch auch die Züge von Max Schönenbergs eher konservativen politischen 196 Vgl. hierzu einführend - auch in die neuere Beurteilung der Position Jabotinsky - https://de.wikipedia.org/wiki/Wladimir_Zeev_Jabotinsky (6.6.2022).
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