M i t d e r K a m e r a v o n K ö l n n a c h P a l ä s t i n a D i e L udw i g T i e t z - L e hrwe rks tat t, S E I T E 1 5 5 Gründe zurückzuführen war. Zum einen sah er sich mit der Forderung, neben Arbeit und Ausbildung noch eine weitere Sprache zu erlernen, schlicht überfordert. „Ich habe in Palästina sehr wenig gelesen, ich hatte so viel zu tun“, erinnerte er sich später an die Belastungen der ersten Monate nach seiner Emigration. „Auch mit Hebräisch-Lernen; das war sehr anstrengend.“ Zum anderen zeigten - nach Überwindung seiner anfänglichen Abwehrhaltung - nun aber wohl die Versuche der Einflussnahme von zionistischer Seite immer deutlichere Wirkung auf seine Einstellung zum propagierten „Gemeinschaftsleben“. Das ging, folgt man Reuwen Schönenbergs Erinnerungen weiter, zunächst offensichtlich mit erheblichem Druck und Kontrolle einher.201 „Außerdem wollte man nicht, dass man Deutsch liest. ‚Ihr könnt alles lesen, was ihr wollt, aber lest nicht in Deutsch!‘“, habe man ihnen in Jagur regelrecht eingebläut: „Die Brücke abbrechen. Das geht drei Monate schwer, bis ihr euch eingewöhnt habt und als Palästinenser fühlt.“ Und tatsächlich: „So ging es auch, so hat man es gemacht.“ Die Zeit sei immer zügiger vergangen, und obwohl ihn regelmäßig „gute“ Briefe aus Köln erreicht hätten, habe sich die Distanz zu Deutschland kontinuierlich vergrößert, während Palästina mehr und mehr zur Heimat geworden sei. „Es zog uns nichts mehr nach Deutschland.“ Dieser Trend sei auch dadurch gefördert worden, dass man durch Briefe und Zeitungen über die dortigen Entwicklungen informiert gewesen sei und daher gewusst habe, „was da passierte“.202 Diese innere Entwicklung nahmen auch Erna und Max Schönenberg wahr und passten ihre Briefe an diesen sich immer klarer manifestierenden Perspektivwechsel ihres Sohnes an. „Wir freuen uns immer, wenn wir aus Deinen 201 Diese Einschätzung wird von der Forschung geteilt, die davon ausgeht, dass an die eingewanderten Jugendlichen häufig die Forderung gerichtet worden sei, die „entfremdete Heimat“ unverzüglich durch die neue in Palästina zu ersetzen. (Vgl. Szamet, Jahr, S 210.) 202 Audio-Interview mit Reuwen (Leopold) Schönenberg, NS-DOK, Tk933, ab 1:08:45. die USA ermöglichen könnten, trafen sie offenbar auf taube Ohren sowie einigen Unmut und Widerstand. „Ich schrieb Dir“, so hieß es in einem Brief von Max Schönenberg am 20. Februar, „daß Du Sprachen - vor allem Englisch - lernen solltest.“ Ein solcher Spracherwerb könne sich insbesondere dann positiv auswirken, „wenn sich später einmal die Notwendigkeit ergeben sollte, den Wanderstab weiter zu setzen“. Diese Anregung wies Sohn Leopold brüsk von sich, was wieder Vater Max zur Reaktion veranlasste. „Du brauchtest im Hinblick auf diese Ausführungen den Ausdruck ‚Hintertür‘. Ich mache kein Hehl daraus, daß dieser Ausdruck mich sehr verletzt hat“, schrieb er zurück, um anschließend darauf hinzuweisen, dass es nach wie vor seine „wohlerwogene Meinung“ sei, dass Leopold „ein guter Jude in Deiner palaestinensischen Heimat werden“ solle. „Und es ist mir heute wie damals ernst damit, daß Du Dich nicht irre machen lassen sollst, wenn es anderen in England, Amerika oder Australien leichter gelingt, sich eine Existenz zu schaffen.“ Das sei aber nur die eine Seite der Medaille, während er als Vater seine Aufgabe darin sah, alle künftigen Optionen im Auge zu behalten, weshalb er keinesfalls „alles, was nicht Palaestina heißt“, übersehen durfte. „Die Zukunft des jüdischen Palaestina ist doch ganz dunkel.“ Er hoffe natürlich, so Max Schönenberg weiter, dass sich „mit der Zeit eine glückliche Lösung“ fände, hielt es aber für notwendig vorausschauend auch andere Optionen in Betracht zu ziehen, denn: „Wenn aber die Hoffnungen, die wir in Palaestina setzen, zu Schanden werden, wenn das Land Euch nicht mehr ernähren kann, dann bleibt auch für Dich, der Du mit dem Herzen an Palaestina hängst, vielleicht doch keine Möglichkeit, dort zu bleiben. Und deshalb riet und rate ich Dir zum englischen Sprachstudium.“200 Solche Anregungen trafen bei Leopold Schönenberg mittlerweile auf weitgehend taube Ohren, was wohl auf ein Zusammentreffen mehrerer 200 Max Schönenberg an Sohn Leopold, 20.2.1938.
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