Mit der Kamera von Köln nach Palästina

M i t d e r K a m e r a v o n K ö l n n a c h P a l ä s t i n a D i e L udw i g T i e t z - L e hrwe rks tat t, S E I T E 1 5 9 men die Schönenbergs aber regelmäßig ja auch die Briefe von Otto Spier zu Gesicht, die sie in ihrer kritischen Sicht bestärkt zu haben scheinen. Die Sorgen hinsichtlich einer unzureichenden Ausbildung wuchsen zudem in jenem Maße, in dem die Folgen des Arabischen Aufstands auch Jagur und damit den Alltag der Auszubildenden der Lehrwerkstatt tangierten. Sie könne nicht verhehlen, so leitete Erna Schönenberg Mitte Juni 1938 ihre Antwort auf einen Brief ihres Sohnes ein, „dass ich viel lieber von Deinem Bohrprisma, Deiner Reisschiene mit Millimetereinstellung lese, als von Kriegsspielen, Freiübungsstunden und sonstiges“. Natürlich waren sich die Eltern in Köln klar darüber, dass ihr Sohn in dieser Beziehung „nicht gegen den Strom schwimmen“ konnte, versuchten zugleich aber auch, ihn durch die ihnen eigene Ironie vor zu martialischer Kriegsbegeisterung zu schützen. „Wie werden die vielen Singvögel im Wäldchen über Euer Zelt und Euern Appell gestaunt haben“, kommentierte die darüber sicherlich sehr besorgte Mutter eine seitens der Schüler durchgeführte militärische Übung.213 Im Laufe der Zeit fand der Alltag in Ausbildungswerkstatt und Schule dann immer weniger Erwähnung in den Briefen von Erna und Max Schönenberg. Das hing einerseits sicherlich mit den gravierenden Folgen des Pogroms zusammen, die ihre Kraft weitgehend absorbierten und andere Themen in den Hintergrund drängten. Andererseits dürften sich die Abläufe in der Lehrwerkstatt aber auch schrittweise eingespielt und den Erwartungen der Eltern so in wachsendem Maße entsprochen haben.214 Ab spätestens Oktober 1939 begann Leopold Schönenberg sich dann Gedanken und auch Sorgen über das nahende Ende seiner - trotz aller erschwerenden Umstände ja weitgehend sehr behüteten - Lehrzeit und die darauf folgenden nun zwangsläufig auf Selbstständigkeit fußender Lebensphase zu 213 Erna Schönenberg an Sohn Leopold, 17.6.1939. 214 Als weiterer störender Faktor kam noch der - insbesondere mit Kriegsbeginn - erschwerte Postverkehr mit Palästina hinzu. er, dass die verkündeten Lehrpläne hinsichtlich anderer Aspekte bald Früchte tragen würden. Die Themen, die künftig im Unterricht behandelt werden sollten, da gab er sich sicher, würden den Jugendlichen „einen Einblick in geistige Bewegungen“ eröffnen, „die vielen Eurer Altersgenossen und vielen Älteren stets verschlossen bleiben“.209 Insgesamt vermisste wohl nicht nur Max Schönenberg insbesondere in der praktischen Ausbildung eine durchdachte Struktur und ein systematisches Vorgehen. „Übrigens war ich mit Deiner letzten Mitteilung, daß Du lange Zeit nur an dem Fahrradständer gearbeitet hast, gar nicht einverstanden“, teilte er Ende Januar 1938 mit, als die Schlosserlehrlinge erneut außerhalb des eigentlichen Lehrplans für die Ausstattung ihrer Einrichtung herangezogen wurden. „Ich lege viel mehr Wert auf den systematischen Fortgang Deiner Ausbildung. Wenn diese also unter der Extraarbeit gelitten hat, so halte Dich lieber in Zukunft von solchen Aufgaben fern.“210 Vergleichbare Kritik wurde aus Köln immer wieder geäußert: „Ich bin nicht ganz begeistert, daß Ihr die Arbeiten für die Tischlerei macht. Ich hatte auf systematisches Fortschreiten der Ausbildung gehofft. Die Arbeit am Kessel mag Dir interessant sein, aber wo bleibt der Plan?“211 Und auch Ende 1938 fand man in seinen diesbezüglichen Äußerungen noch immer her wenig Zufriedenheit. „Kommt Ihr mit Eurer Ausbildung gut weiter? Wie ist‘s mit dem Drehen? Die Maschinen sah ich zwar, aber Du erwähnst in letzter Zeit gar nichts von Eurer Ausbildung“, schrieb der besorgte Vater nach Abschluss seines Palästina-Besuchs.212 Der kritische Blick der Eltern könnte sich natürlich zumindest teilweise als Reflex aus den eher spröden und knappen Schilderungen des augenscheinlich schreibfaulen Sohns entwickelt haben. Andererseits beka209 Max Schönenberg an Sohn Leopold, 12.11.1937. 210 Max Schönenberg an Sohn Leopold, 29.1.1938. 211 Max Schönenberg an Sohn Leopold, 13.3.1938. 212 Max Schönenberg an Sohn Leopold, 15.11.1938.

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