M i t d e r K a m e r a v o n K ö l n n a c h P a l ä s t i n a D i e L udw i g T i e t z - L e hrwe rks tat t, S E I T E 1 6 3 möglicherweise resultierenden Beeinflussungen in der Venloer Straße 23 in Köln ein heißdiskutiertes Thema waren. Max Schönenberg hatte sich ja - wie bereits skizziert - direkt zu Beginn von Leopolds Palästina-Aufenthalt kritisch zu kollektivistischen Lebensformen und den gemäß seinen Befürchtungen daraus resultierenden Gefahren einer „Gleichmacherei“ geäußert. Bezogen sich seine ersten Einlassungen vorrangig auf konkrete Erscheinungsformen in Jagur, sah er sich alsbald zu grundsätzlicheren Stellungnahmen veranlasst. „Aber weil Ihr alle noch so jung seid und euren Weg in die Zukunft noch gar nicht kennt, dürft Ihr euch auch jetzt noch nicht auf bestimmte Pläne festlegen“, mahnte er seinen Sohn zu Vorsicht und Zurückhaltung. „Zum Beispiel halte ich es für falsch, Euch etwa jetzt schon für die Kibbuz-Form festzulegen.“ Dazu, so stelle er nachvollziehbar fest, fehle es den jugendlichen Neuankömmlingen „doch an jeder praktischen Erfahrung“. Außerdem, so warnte er, eigne sich keinesfalls jeder für eine solche Lebensform. „Neben vielen, die sich im Kibbuz glücklich fühlen, weiß ich von zahlreichen andern, die das Kibbuzleben nicht ertragen konnten.“ Daher sah er sich veranlasst, zwar indirekt, aber recht deutlich Stellung gegen die zionistisch orientierten Leiter der Jugend-Alija und des Kibbuz Jagur zu beziehen. „Die Befürworter der Bewegung (…) bemühen sich, möglichst früh die Seelen der jungen Menschen für ihre Ideen einzufangen. Je jünger man ist, umso leichter kann man sich begeistern und umso weniger hat man die Erfahrung, die zur Beurteilung solcher Fragen notwendig ist.“ Aufgrund der großen räumlichen Distanz blieb dem besorgten Vater jedoch nicht mehr, als die Übermittlung einer gutgemeinten Empfehlung: „Ich rate Dir - euch - daher, bindet euch nicht, beobachtet und lernt. Wichtige Entscheidungen müssen reifen - d. h. müssen Zeit haben.“225 Um Sohn Leopold auf den aus seiner Sicht richtigen Weg zu führen, führte Max Schönenberg 225 Max Schönenberg an Sohn Leopold, 21.2.1937. Arbeit des Kibbuz‘ integriert werden sollten. Damit verband sich auch die Hoffnung, dass sich die Jugendlichen später dem jeweiligen Kibbuz verpflichtet fühlen und sich ihm anschließen würden.223 Diese Form früher Integration war im Fall der Ludwig Tietz-Lehrwerkstätten aufgrund der tagesfüllenden Kombination von praktischer und theoretischer Ausbildung zunächst zwar nur in Ansätzen gegeben, aber allein schon die gemeinsame Essenseinnahme im Kibbuz stellte von Beginn an eine enge Verbindung her. Zugleich prallten aber gerade an diesem Ort immer wieder auch Welten aufeinander, was häufig dazu führte, dass die Jugendlichen mit den für sie völlig ungewohnten Bedingungen und dem Verhalten der sie im Kibbuz umgebenden Erwachsenen überfordert waren. Das konnte - völlig kontraproduktiv zu den damit eigentlich verfolgten Intentionen - auch dazu führen, dass sie sich in der Beurteilung der vorgefundenen rauen Lebensumstände im Kibbuz mit ihren Eltern in Deutschland auf einer Linie bewegten. Was er „über die Zustände im Kibbuz“ berichte, so reagierte Emma Kaufmann im März 1937 auf diesbezügliche Äußerungen ihres Enkels, sei ihr nicht neu. Sie selbst darüber bereits „viel Mißbilligung gehört“, so dass es sie nicht überrasche, „daß es auf Dich und manchen Deiner Collegen abstoßend wirkt“. „Ihr kommt aus einer Umgebung, wo Ihr nie ein Wort gehört, daß Ihr nicht hören durftet, und nun hört Ihr von diesen Zuständen, die Euer Anstandsgefühl verletzen.“ Sie gehe davon aus, so schloss die besorgte Großmutter ihren Brief, „daß da mit der Zeit auch Wandlungen kommen, die Besserung in diese Zustände bringen; vielleicht hat die Leitung noch nicht die richtige Macht“. Vater Max werde in seinen Schreiben sicherlich näher auf diesen Punkt eingehen.224 Das hatte der in allgemeinerer Form längst getan, und lieferte damit den Beleg dafür, dass die neue Lebensform des Sohnes und die daraus 223 Vgl. Szamet, Jahr, S 198. 224 Emma Kaufmann an Enkel Leopold, 20.3.1937.
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