M i t d e r K a m e r a v o n K ö l n n a c h P a l ä s t i n a D i e L udw i g T i e t z - L e hrwe rks tat t, S E I T E 1 6 5 Sollte sie auf ihr geeignet erscheinende Bücher stoßen, werde sie diese umgehend nach Palästina schicken.227 Vater Max Schönenberg wurde in einem Dialog „unter Männern“ - wie von Emma Kaufmann angekündigt - weitaus konkreter und direkter. „Ihr macht Euch viele Gedanken über all das Neue, was Ihr im Kibbuz und über den Kibbuz erfahren habt“, leitete er sein Schreiben ein. „Nichts ist natürlicher als das“, beruhigte er und fuhr fort: „Aber die Fragen, die Euch quälen, sind für 17 jährige noch zu schwer zu lösen.“ Das heiße zwar keineswegs, „daß Ihr nicht darüber nachdenken solltet“, aber insgesamt müssten sich die Jugendlichen in Jagur „bescheiden und die Lösung dieser Fragen noch einige Jahre hinausschieben“, bis sie „körperlich und geistig reifer geworden“ seien. Es ging ganz offensichtlich um einen Themenkomplex, den Max Schönenberg als „Ehefrage“ umriss und seinem Sohn gegenüber vor Eintritt in die Diskussion betonte, einer Antwort keinesfalls aus dem Weg gehen zu wollen. Er sei jedoch, wie er bereits beim Meinungsaustausch über dessen künftige „politische oder wirtschaftliche Richtung“ betont und zugleich gewarnt habe, der Überzeugung, dass Leopold sich Zeit nehmen solle, „alle Probleme zu verdauen, ehe Du Dir eine Meinung bildest“. Anschließend wurde der Vater konkreter: „Zur Ehefrage gibt es verschiedenes zu beachten. Ich machte Dich, lieber Pold schon vor Jahren darauf aufmerksam, daß es schädlich sei, mit dem Geschlechtsglied zu spielen, es zum Samenerguß zu reizen. Dasselbe gilt für den vorzeitigen Geschlechtsverkehr. Man vergeudet damit Kräfte und schädigt die Leistungsfähigkeit des Körpers für die späteren Jahre, und zwar nicht nur bezüglich des Geschlechtsverkehrs der späteren Jahre, sondern auch bezüglich der geistigen Entwicklung.“ Zwar würden, so gestand er immerhin ein, sexuelle Beziehungen in jungen Jahren nicht, „wie oft zur Abschreckung behauptet“ würde, unweigerlich zur Geisteskrankheit führen, „aber 227 Erna Schönenberg an Sohn Leopold, 20.3.1937. Experiment, ein Irrweg, ein Rückschritt ist für unsere Begriffe der Kibbuz, wenn er so ist, wie Du ihn schilderst.“ „Drum prüfe, wer sich ewig bindet, ob sich das Herz zum Herzen findet“, bemühte Erna Schönenberg in diesem Kontext ein altes deutsches Sprichwort und betonte zugleich, dass der Begriff „Hochzeit“ sich aus dem Bild der „hohen Zeit der Liebe“ ableite, die daher erst „am Ende der Entwicklungsjahre“ stehen dürfe. „Alles zu seiner Zeit“, lautete ihre entschiedene Forderung. „Wie ich von einem 10-jährigen Kinde keine anstrengenden Arbeiten verlangen kann, wie ich 16- und 17-jährige Menschen nachdrücklichst vor Alkohol- und Tabakmißbrauch warnen muß, so kann man nicht eindringlich genug vor Gefahren sexueller Natur warnen.“ Vor diesem Hintergrund sah die einst begeisterte Zionistin aufgrund der Schilderung ihres Sohnes nun große Gefahren für dessen Zukunft und psychische Verfasstheit. „In einem früheren Briefe sagtest Du einmal, der Kibbuz würde Euch als die einzig mögliche Form der Zukunft geschildert.“ Dem widersprach Erna Schönenberg nun sehr bestimmt und stellte damit zumindest teilweise die gemeinschaftliche Lebensform im Kibbuz grundsätzlich in Frage: „Schon daraus, daß es den Moschaw etc. gibt, siehst Du, daß sich auch andere Formen zur gleichen Zeit entwickeln. Der Kibbuz hat zweifellos seine Daseinsberechtigung, weil er alle die mittellosen jungen Menschen aufnimmt, die ihm zuströmen und mittellos wo anders kaum unterkommen würden.“ Sie hatte sich vor dem Hintergrund der leider nicht überlieferten, sie aber offenbar zutiefst verstörenden Informationen ihres Sohnes vorgenommen, diesen in der Frage nach dem für ihn richtigen Weg künftig intensiv zu unterstützen Sie kenne zwar noch „keine Bücher, die für oder gegen den Kibbuz gerichtet“ seien, werde sich aber darüber erkundigen. Zunächst blieb ihr nichts, als ein flammender Appell aus tiefster Besorgnis: „Bleibet fest in Euren Anschauungen, suchet nach Gleichgesinnten und beschäftigt Euch mit Geistigem aller Art. Allmählich kommt Ihr dann auch weiter zur Klarheit über all diese Dinge.“
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