M i t d e r K a m e r a v o n K ö l n n a c h P a l ä s t i n a D i e L udw i g T i e t z - L e hrwe rks tat t, S E I T E 1 6 7 einstellen, sich helfen und stützen. Und diese Erfahrungen werden Dich später vorsichtig machen, wenn die Frage an Dich herantritt, in welcher Form Du Dich in Palästina eingliedern willst. Es ist nicht alles Gold, was glänzt.“231 Umso erstaunter war Max Schönenberg laut eigenem Bekunden, als er dann Anfang 1938 erfuhr, „dass Otto jetzt schon beinahe entschlossen ist, den Kibbuz als zukünftige Lebensform anzuerkennen“. Wieder blieben ihm nur warnende Worte an Sohn Leopold. „Was wisst Ihr denn schon von möglichen Lebensformen. Otto sieht nun gerade die eine vor sich, spricht mit Menschen, denen diese Lebensform zusagt und glaubt sich ein Urteil bilden zu können. Hat er denn schon mal eingehend mit Menschen gesprochen, die aus dem Kibbuz ausgetreten sind? Manche sind aus wirtschaftlichen, manche aus seelischen Gründen ausgetreten, weil sie innerlich zerbrochen wären.“ Gerade für Otto Spier, den er aus früheren Tagen ja gut kannte, hielt Max Schönenberg das Leben in einem Kibbuz „auf die Dauer für unerträglich“, da er „doch seelisch tief veranlagt“ sei. Gemeinschaft könne nämlich auch zu etwas „Quälendem“ werden, „wenn die Menschen nicht zusammen passen“. Es spreche nichts dagegen, „ein solches Gleichheitsexperiment“ wie etwa im Rahmen der Ausbildung in den Ludwig Tietz-Lehrwerkstätten „für eine gewisse Zeit und in einem beschränkten Kreis“ durchzuführen. Ansonsten aber blieb er bei seiner bereits zuvor mehrfach geäußerten Skepsis und der Schlussfolgerung: „Als Lebensform führt es zu Erstarrung.“ Das sei der falsche Weg, denn „der Fortschritt der Menschheitskultur“ beruhe nun einmal auf Millionen und Abermillionen kleinster, auf individuelles Tun zurückzuführender Fortschritte. „Also der Einzelne ist das bewegende Element.232 231 Max Schönenberg an Sohn Leopold, 18.12.1937. 232 Max Schönenberg an Sohn Leopold, 11.1.1938. stand entgegensetzen. Höher stehende können und werden gerade hier beweisen, daß sie nicht Sklaven ihrer Triebe sind, daß sie sich selbst beherrschen wollen und können. (…) Ich warnte Dich vor der Selbstbefriedigung, ich warnte Dich ebenso vor vorzeitigem Geschlechtsverkehr. (…) Je mehr man sich mit geschlechtlichen Dingen in Gedanken oder im Gespräch mit seinen Freunden befaßt, umso mehr erschwert man sich die Selbstbeherrschung. Viel richtiger ist es, die Gedanken von diesen Dingen abzulenken. Dazu dient Arbeit, Sport, gute Bücher.“ Er wisse nicht, so ging Max Schönenberg näher auf die Situation in Jagur ein, ob es tatsächlich Absicht gewesen sei, dass nur männliche Jugendliche für den ersten Jahrgang der Lehrwerkstätten ausgewählt worden seien, „oder ob es mit der Fixigkeit zusammenhing, mit der vor 1 Jahr die Belegschaft zusammengestellt werden mußte“.230 Aber auch ein „Nahebeieinandersein der beiden Geschlechter“ wäre wohl „ohne die in natürlichen Verhältnissen durch häusliche Gemeinschaft aufgebauten Schranken“ nicht problemlos verlaufen und hätte auf die Jungen wohl in dem Sinne „ungünstig gewirkt, daß Eure Gedanken davon sehr beeinflußt worden wären“. Es gelte aber jenseits all solcher Erwägungen „immer und für alle Zeiten, in der Gegenwart das Richtige zu tun“. Und gerade in dieser Hinsicht, so stellte der Vater in Köln klar, seien „die Unerzogenheit, Disciplinlosigkeit, der Mangel an Kameradschaftlichkeit, Hilfsbereitschaft und Rücksichtnahme“, die in Jagur nach den ihm zugegangenen Schilderungen an der Tagesordnung seien, „wirklich wenig erfreulich“. Immerhin versuchte er den nach seiner Einschätzung inakzeptablen Zuständen dort noch etwas Positives abzugewinnen. Es sei wohl „ganz nützlich“, so teilte er seinem Sohn mit, „daß Du diese Charakterzüge einer ‚Gemeinschaft‘ kennenlernst“. „Sie passen so gar nicht zu den Idealbildern von Kibbuzim und Kwuzoth, die doch nur gedeihen können, wenn die Menschen sich aufeinander 230 Es deutet einiges auf die zweite Annahme hin, denn - wie oben gezeigt - bestand von Beginn an die feste Absicht, auch einen weiblichen Zweig einzurichten.
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