M i t d e r K a m e r a v o n K ö l n n a c h P a l ä s t i n a L e b e n i n Pa l ä s t i na und i m K i bbu z , S E I T E 2 5 6 wachsenden emotionalen und psychologischen Probleme führten vielfach dazu, dass diesen jungen Menschen gerade zu einem Zeitpunkt nur weinig Hilfe angeboten wurde, an dem sie dringend Orientierung und Hilfe benötigt hätten.278 In einer solchen Lage befand sich zum Ende seiner Ausbildungszeit wohl auch Leopold Schönenberg, dem zu dieser Zeit wohl bewusst gewesen sein dürfte, dass er auf absehbare Zeit allein auf sich gestellt bleiben würde. Vor diesem Hintergrund äußerte er sich etwa Anfang November 1939 gegenüber seinen Eltern erstmals „über die Zeit nach der Lehrzeit“. „Du sprichst vom Kibbuz oder vom Weiterlernen in einem Stadtbetriebe“, antwortete Mutter Erna am 12. November 1939. Über „das Für und Wider der Kibbuzim“ seien ganze Bücher geschrieben worden, fuhr sie fort. Das habe sie natürlich nicht vor, „aber ich will Dir ganz kurz sagen, wie ich in Deinem Falle – und von hier aus gesehen – denke.“ Dass der Schulleiter ihm zum Eintritt in einen Kibbuz rate, solle Leopold „am Wenigsten beeinflussen“279, denn der handele in dieser Beziehung „gemäß höherer Weisung“, für die Erna Schönenberg durchaus auch ein Stück weit Verständnis aufbrachte. „Denn der Kibbuz ist ja das notwendige Übel, ist wirklich nicht mehr wegzudenken aus der wirtschaftlichen Notwendigkeit heraus, die Menschen unterzubringen.“ Um ihren Sohn von dem Druck, seine Eltern materiell unterstützen zu müssen, zu befreien, betonte sie, dass Leopold unabhängig von der Entscheidung zur Gestaltung seiner Zukunft im Falle einer doch noch erfolgreichen Auswanderung „nicht in der Lage“ sein werde, „in den nächsten Jahren etwas für uns tun zu können, weder im Kibbuz noch in der Stadt“. Hierfür werde dessen voraussichtlich „sehr knappe“ Entlohnung nicht 278 Vgl. Pilarczyk, Gemeinschaft, S. 119 279 Jahrzehnte später erinnerte der sich, dass in Jagur bereits seit etwa Mitte 1939 darüber diskutiert worden sei, „wo wir hinwollten, was wir weitermachen wollten. Die meisten beschlossen, in einen Kibbuz zu gehen. Das war auch die Linie der Schule: vorzuschlagen, dass wir in einen Kibbuz gehen.“ (Audio-Interview mit Reuwen Schönenberg, NS-DOK, Tk933, ab 1:20:40.) K i bbuz - Ja oder ne i n? In derart unruhigen Zeiten, die keinen verlässlichen Blick in die Zukunft ermöglichten, stand Leopold Schönenberg vor der schwierigen Entscheidung, welchen Weg er künftig einzuschlagen gedachte. Schon lange vor dem Ende der Ausbildungszeit in der Ludwig Tietz-Lehrwerkstatt waren Max und Erna Schönenberg mit ihrem Sohn bezüglich dieser Frage in intensive Diskussionen eingetreten. Was von den jungen Absolventen nach Abschluss ihrer Ausbildung von den Verantwortlichen der Jugend-Alija erwartet wurde, legte L. Perritz in einem „Schicksal der Juden aus Deutschland“ überschriebenen Artikel im „Palästina-Blatt“ dar. Es war ein Leben als „Chawer“ im Kibbuz, um dort „fortan das im Leben zu finden, was er bisher gedacht“ habe: „Kollektivität, Gemeinschaft des Zieles, der Arbeit, der Freude und der Sorge“. Der Artikel endete mit einem Aufruf zum Landleben, indem der Autor darauf hinwies, dass es kein Zufall sei, „dass gerade die Menschen, die dem Lande sich anvertrauen, im allgemeinen ein besseres Schicksal traf als die, die in den Städten blieben“. Der Kibbuz wurde so als eindeutig zu bevorzugende Wohn- und Lebensform im künftigen jüdischen Staat auf palästinensischem Boden beworben.277 Das galt auch für die Erziehungsarbeit der zionistischen Bünde und dem Hechaluz, die ebenfalls bestrebt waren, ihre Mitglieder auf ein Leben in Kibbuzim vorzubereiten, um so Individualismus und Liberalismus der „alten“ Jugendbewegung deutscher Prägung endgültig zu überwinden. Eine derart einseitige Sicht und Ausrichtung ging allerdings kaum auf die Bedürfnisse jener mit der Jugend-Alija nach Palästina gekommenen westjüdischen Jugendlichen ein, die - zumindest anfänglich - eben nicht ausgesprochen zionistisch orientiert waren. Deren Nichtberücksichtigung in der neuen, aber oftmals sehr fremden Heimat und die daraus eroben. 277 „Jüdische Rundschau“, 25.1.1939, Beilage „Palästina-Blatt“: L. Perritz: Schicksal der Juden aus Deutschland.
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