M i t d e r K a m e r a v o n K ö l n n a c h P a l ä s t i n a L e b e n i n Pa l ä s t i na und i m K i bbu z , S E I T E 2 5 9 drei Monate in Anspruch, so dass Erna und Max Schönenberg praktisch nichts mehr über die Lage und das Befinden ihres Sohnes erfuhren. „Natürlich machen wir uns um ihn manche Sorge.“290 Einen - allerdings nur sehr unzulänglichen - Ausweg stellte ein Nachrichtenaustausch von Palästina über Shanghai nach Köln dar. „Könntest Du vielleicht Mitteilungen für die Eltern schreiben, die ich meinen Briefen beilegen würde? Die Eltern können ja leider nach den letzten postalischen Bestimmungen in Deutschland nicht mehr mit Dir direkt korrespondieren, deshalb ließe es sich vielleicht so machen. Du müßtest allerdings den Brief so abfassen, als käme er von hier“, regte Julius Kaufmann eine die Zensur umgehende Notlösung an.291 Das bedeutete, dass Eltern und Sohn in einer Zeit, die sich auf verschiedenen Ebenen für beide Seiten dramatisch zuspitzte, praktisch nichts mehr voneinander erfuhren.292 Auf die kleinsten, mit hohem Aufwand und zudem scharf zensiert auf den Weg gebrachten Neuigkeiten mussten beide Seiten lange warten, was permanente Ängste erzeugte und an den Nerven zerrte, ohne dass man etwas dagegen hätte tun können. So erfuhren Erna und Max Schönenberg lediglich indirekt, stark verzögert und entsprechend einflusslos davon, dass Leopold angesichts seiner dauerhaft misslichen Lage nun doch wieder immer intensiver darüber nachdachte, seine ursprüngliche Entscheidung gegen den Kibbuz schrittweise zu revidieren. Sie hätten sich sehr gefreut, so teilten die Schönenbergs Mitte November 1940 Julius Kaufmann in Shanghai mit, „daß Du uns von Deinem Neffen berichten konntest“. Zugleich waren sie sich ihrer eigenen auf290 Max Schönenberg an Schwager Julius Kaufmann, 7.7.1940. 291 Julius Kaufmann an Neffen Leopold, 17.7.1940. 292 „Wir hörten über Pold – leider nicht von Pold“, brachte Erna Kaufmann diese für sie nur schwer erträgliche Lage auf den Punkt. (Erna Schönenberg an Bruder Julius Kaufmann, 28.10.1940.) Ein zweiter Kommunikationskanal war zwischenzeitlich über Nichte bzw. Cousine Gerda Schönenberg eröffnet worden, die in die Schweiz emigriert war und von dort sowohl nach Deutschland als auch nach Palästina schreiben und von dort Post empfangen konnte. digt.“ Daraufhin sei ihm über das Arbeitsbüro eine neue Anstellung in einer Leuchtenfabrik vermittelte worden.287 Da der Markt für Leuchten durch die Auswirkungen des Weltkriegs aber sehr bald „tot“ war, folgte eine erneute Arbeitslosigkeit. „Nach einem halben Jahr beschloss ich, Jerusalem zu verlassen und fuhr mit einem Fahrrad nach Beit Yitzhak“ - also erneut zu Änne und Paul Spies, die ihm wiederum Arbeit, Unterkunft und Verpflegung boten.288 Das war auf Dauer natürlich mehr als unbefriedigend und sicherlich keine Dauerlösung für den 20-Jährigen. „Liebes Poldchen, lass den Kopf nicht hängen, wenn Du auch z. Zt. keine richtige Arbeit hast oder für einen Hungerlohn arbeiten musst“, versuchte sein Onkel Julius ihn im Oktober 1940 zu trösten. „Es ist bei allen jugendlichen Emigranten dasselbe Problem, ob es nun Palästina oder Shanghai oder U.S.A. ist.“ Die temporäre Lösung bei den Spiers sei trotz allem „sicherlich gut“. „Es ist ungemein viel wert, Leute um sich zu haben, die man kennt und die mit einem auch wirklich durch Freundschaft und Anhänglichkeit verbunden sind.“289 Ein solch enger Kontakt war umso wichtiger, als die Kommunikation zwischen Köln und Palästina seit Frühjahr 1940 weitgehend unterbrochen war. Die einzig noch verbliebene Möglichkeit des Austauschs über im Telegrammstil verfasste kurze Rote-Kreuz-Briefe nahm jeweils rund 287 Das alles dürfte im April 1940 geschehen zu sein, denn bereits Ende des Monats wurde berichtet, Leopold habe in einer Jerusalemer Schlosserwerkstatt bereits seine zweite Stelle angetreten. „Es scheint, als ob er sich bescheiden ernähren könne. Damit müssen wir zufrieden sein.“ (Max Schönenberg an Schwager Julius Kaufmann, 28.4.1940.) 288 NS-DOK, N 67: Handschriftliches Manuskript (Digitalisat): Großvater Reuwen Schönenberg. (Übersetzung aus dem Hebräischen.) Diese Darstellung gab Reuwen Schönenberg im Jahr 2000 auch im Interview: „Ich habe da tatsächlich auch in einer Ofenfirma gearbeitet, bis der Streik kam gegen das Weißbuch der englischen Regierung - das war kein Streik, sondern eine Demonstration. Ich habe mich dem als Gewerkschaftler angeschlossen. Am nächsten Tag wurde ich - offiziell aus anderem Grund - entlassen.“ (Audio-Interview mit Reuwen (Leopold) Schönenberg, NS-DOK, Tk933, ab 1:20:40.) Einem Brief von Erna Kaufmann ist zu entnehmen, dass Leopold seit Ende Juli wieder bei Familie Spier weilte. „Er hilft ihnen bei ihrer schweren Arbeit. Beide Teile seien mit dieser Lösung zufrieden.“ (Erna Schönenberg an Bruder Julius Kaufmann, 28.10.1940.) 289 Julius Kaufmann an Neffen Leopold, 8.10.1940.
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