Mit der Kamera von Köln nach Palästina

M i t d e r K a m e r a v o n K ö l n n a c h P a l ä s t i n a L e b e n i n Pa l ä s t i na und i m K i bbu z , S E I T E 2 7 2 Tochter Nurit geboren worden war, da sie im Alter von 10 Monaten schwer erkrankte. „Wir hatten viel Arbeit und Sorgen.“ Danach lebte die Familie dann ein weitgehend normales Leben, das - wie Reuwen es ja bereits aus Kölner Zeiten kannte - nicht übermäßig stark von jüdischen Gebräuchen geprägt war. „Zuhause waren wir nicht religiös, nur die Feiertage wurden gefeiert. Zu Hause hatten wir Hühner und Kaninchen zum Essen. Koscher war das nicht. Ein Versuch, Gemüse zu pflanzen scheiterte.“ Ansonsten unternahm man, „wenn Zeit dazu war“, Ausflüge ins Land. Nachdemman 1958 das Haus renoviert hatte, war schließlich der Zeitpunkt gekommen, den Reuwen wohl schon länger herbeigesehnt hatte: „Wir leisteten uns eine Reise nach Belgien und Deutschland.“ Es wurde in Teilen eine regelrechte Reise in die Vergangenheit: „Dort haben wir das Kindermädchen getroffen, dass mich von meiner Kindheit bis zur NS-Zeit begleitet hatte. Die Nazis hatten sie gezwungen uns zu kündigen. Der Kontakt zu meinen Eltern blieb bestehen, auch als sie schon im Lager bei Köln waren. Sie brachte Lebensmittel aus ihrem Dorf, und meine Eltern gaben ihr alle persönlichen Sachen, die sie aufbewahrt haben wollten. Bei unserem Besuch übergab sie mir ein Gemälde, Kristallvasen und viele Briefe. Was von meinem Vater geblieben ist, war eine goldene Taschenuhr, die er bei ihr gelassen hatte.325 Dazu kamen sein Tagebuch und Dokumente, die er bei seinem Besuch in Palästina uns übergeben hatte. Bei dieser Reise besuchten wir auch mein Elternhaus, der Wächter ließ uns herein, weil er mich wiedererkannte. Mein Elternhaus war zur Hälfte zerstört durch eine Bombe, wir haben nichts mehr gefunden. Wir besuchten auch den Friedhof, auf dem mein Onkel Julius, meine Großmutter und meine Großväter bestattet sind.“ 325 Vgl. hierzu und zur Rolle von Gertrud Heuft: Martin Rüther: „Unsere liebe Gertrud“ - Ein Beispiel zivilen Widerstands; in: museenkoeln - Das Magazin Nr. 1/2022, S. 26-28. Hinsichtlich der Briefe lag Reuwen Schönenberg mit seiner Erinnerung nicht richtig, denn an Max und Erna Schönenberg adressierte Briefe haben sich nicht erhalten. Haus entfernt. Jeder tat, was er konnte.“321 Folgt man Reuwen Schönenberg, waren die Gründe zum Verlassen des Kibbuz vielfältiger: „Meine Gedanken stellten sich die Frage, ob ich mein ganzes Leben im Kibbuz verbringen wollte. Sicher würde es später schwerer werden zu gehen. Cilia hatte Augenprobleme, sie konnte schlecht sehen. Dazu kamen auch Probleme mit ihrer Arbeit.“ Auch Rinas Geburt dürfte nicht ohne Einfluss auf die Entscheidung geblieben sein, denn mit der Geburt erster Kinder änderte sich nach allgemeiner Beobachtung stets auch das Verständnis vieler Kibbuz-Gründerinnen und Gründer zur Bedeutung und Ausformung der Lebensform „Familie“.322 Die folgenden Jahrzehnte des familiären Lebens fasste Reuwen Schönenberg sehr kompakt auf einer halben handschriftlich beschriebenen DIN A 4-Seite zusammen. Vor dem Umzug nach Kiryat Chaim hatten Cilia und er deren 1945 ebenfalls aus Rumänien nach Palästina übersiedelten Eltern eine Doppelhaushälfte abgekauft und wohnten seitdem eng beieinander.323 Für Reuwen folgten beruflich unstete Jahre. „Ich fand Arbeit in einer Autowerkstatt am Checkpoint neben Haifa. Von dort wurde ich für eine Arbeitseinheit für die Eisenbahn rekrutiert. Statt einem Jahr, wie vorgesehen, wurden daraus drei Jahre. Während einem Streik der Schweißer, der verboten war, wurde ich entlassen. Eine neue Stelle fand ich bei Solel Boneh (Baufirma)324, abends teilte ich Zeitungen aus. Zu Hause war ich sehr wenig.“ Eine schwere Zeit durchlebten die Schönenbergs, nachdem 1954 ihre zweite 321 NS-DOK, N 67: Handschriftliches Manuskript (Digitalisat): Großmutter Cilia Schönenberg (geb. Haies). (Übersetzung aus dem Hebräischen.) 322 Vgl. Pilarczyk, Gemeinschaft, S. 218. 323 Aufgrund der rumänischen Abstammung seiner Frau und deren Eltern wurde im Hause Schönenberg im Übrigen ausschließlich Hebräisch gesprochen. 324 Hierbei handelte es sich um ein gewerkschaftsnahes Unternehmen, das eine große Rolle im Rahmen jüdischer Bauaktivitäten im Mandatsgebiet Palästina spielte. Unter anderem produzierte die Firma auch die Gebäude vor, die bei der Errichtung von „Turm- und Mauersiedlungen“ zum Einsatz kamen. Auch nach der Staatsgründung im Jahr 1948 spielte Solel Boneh weiterhin eine bedeutende Rolle und baute u.a. Verteidigungsanlagen für die Armee. (Vgl. https://en.wikipedia.org/wiki/Solel_Boneh (13.7.2022).)

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