Mit der Kamera von Köln nach Palästina

M i t d e r K a m e r a v o n K ö l n n a c h P a l ä s t i n a B i l d t e i l V I I , S E I T E 2 7 4 verweisen auf ikonologischer Ebene „auf die Härte und Kompromisslosigkeit des zionistischen Entwurfs“, oder war Reuwen Schönenberg nach eigenem Verständnis einfach nur ein interessierter „Knipser“, der versuchte, das gerade Erlebte dauerhaft für das private Fotoalbum festzuhalten? Je nach Anspruch und Ansatz könnten die Antworten auf diese und weitere Fragen recht unterschiedliche Ergebnisse zeitigen. Heinz Warschauer etwa, der 1936 für den Philo-Verlag das „Portrait“ eines Kibbuz anfertigte, um damit das dortige Leben der noch in Deutschland weilenden jüdischen Jugend nahezubringen, machte dezidiert auf die Diskrepanz zwischen den vordergründig optimistischen Darstellungen der zeitgenössischen Fotografie und der Realität in den Kibbuzim aufmerksam: „In Wirklichkeit wird in Palästina nicht viel gelacht. Dazu ist das Leben zu hart. Es wird bestimmt mindestens ebenso viel geweint. Und nicht nur das: auch in Palästina gibt es, und gar nicht so selten, Menschen – junge Menschen –, die glauben, das Leben nicht mehr ertragen zu können und es aufgeben.“ Allerdings, so stellte Ulrike Pilarzyk nachdrücklich fest, sei es ohnehin ganz allgemein außerordentlich schwer, „Art und Weise des Umgangs der Betroffenen mit der neuen Situation nach der Emigration zu rekonstruieren“. Folge man den von den Betroffenen damals niedergeschriebenen Eindrücken, aber auch ihren sehr viel später zu Protokoll gegebenen Erinnerungen, so erscheine die erste Zeit im Kibbuz als schwierige, in der Regel aber auch wichtige Zeit, die von den meisten „zur Phase des Ein- und Umgewöhnens verdichtet“ würde. Hinzu gesellten sich naturgemäß noch zahlreiche weitere mitbestimmende Faktoren: die damaligen kriegerischen Ereignisse in Europa mit der dadurch möglich gewordenen, aber stets unbegreiflich gebliebenen Ermordung der europäischen Juden, die immer neuen, häufig von massiver Gewalt begleiteten Konflikte in Palästina sowie das stete und unbedingte Bestreben, gegen den massiven Willen der militärisch überlegenen britischen Mandatsmacht möglichst vielen der Verfolgten zur (illegalen) Einwanderung zu verhelfen. Das aus all diesen Faktoren resultierende Bewusstsein, überlebt zu haben, das nicht selten bis zu einer „Überlebensschuld“ reichte, weil man Familienmitglieder in Deutschland und andernorts zurückgelassen hatte, überlagerten nach den über einen langen Zeitraum zusammengetragenen Erkenntnissen von Ulrike Pilarczyk die ErinneBei den in diesem letzten Bildteil vorgestellten Fotografien handelt es sich vorrangig um Aufnahmen, die Reuwen Schönenberg nach einer langen, von September 1939 bis Ende 1943 währenden und wahrscheinlich den schwierigen Lebensumständen jener Jahre geschuldeten „kreativen Pause“ ab Anfang 1944 vom Leben im Kibbuz Beit Oren und im Rahmen von dort aus betriebener Unternehmungen auf Film bannte.328 Da nur wenig Konkretes über sein damaliges Leben bekannt ist, bleiben auch die konkreten Inhalte der verschiedenen Serien weitestgehend im Dunkeln. Die Fotografien werden hier daher als eine Art chronologischer „Bilderbogen“ präsentiert, der in einigen seiner Teile thematisch untergliedert ist. In ihm dürfte ein Großteil von Reuwen Schönenbergs damaligem Leben im Kibbuz und ab 1945 zunehmend auch das seiner Familie sichtbar werden. Auch Angaben hinsichtlich konkreter mit einzelnen Aufnahmen verfolgter Absichten und etwaigen gestalterischen Ansprüchen an die von ihm fixierten Bildmotive sind nahezu unmöglich. Bei Betrachtung einiger der Aufnahmen drängt sich zwar auch immer wieder einmal der Eindruck auf, dass der Fotograf bestimmte Motive - etwa Gruppen von Kindern und Jugendlichen oder Landschaftsaufnahmen - bevorzugte, es lässt sich jedoch nicht belegen, dass der Entstehung solcher Fotografien ein kreativer Wille zugrunde lag. Das bleibt dem Blick jeder einzelnen Betrachterin und jedes einzelnen Betrachters vorbehalten. Immerhin aber dürfte feststehen, dass mit den Aufnahmen Reuwen Schönenbergs der Nachwelt interessante Einblicke in die Welt der Kibbuzim zwischen 1944 und 1947 sowie in die Entstehungs- und Frühgeschichte des Staates Israel erhalten geblieben sind. Bei allem quellenbedingten Unwissen stellt sich immer wieder die Frage, wie groß dabei die Diskrepanz zwischen zionistisch orientierter Propaganda und der Lebensrealität der jungen Einwanderer in den Kibbuzim war. Hinzu gesellt sich auch immer wieder jene, wie die Fotografien in diesem Kontext insgesamt zu deuten und zu bewerten sind. Folgen sie in ihrer Komposition den Vorbildern jüdischer Fotografen wie etwa Herbert Sonnenfeld und 328 Von seinem nach eigener Angabe immerhin von 1941 bis Ende 1943 währenden Aufenthalt im Kibbuz Giv’at Chaim ist nicht eine einzige Aufnahme erhalten. Folgt man den ansonsten sehr präzise erscheinenden Indices der einzelnen Aufnahmen hat Reuwen Schönenberg in diesen drei Jahren das Fotografieren vollkommen eingestellt. B i ldte i l V I I

RkJQdWJsaXNoZXIy MTI5NTQ=