M i t d e r K a m e r a v o n K ö l n n a c h P a l ä s t i n a J üd i s ch e J u g e ndb ewe g ung , S E I T E 6 9 Bedeutung zukam. „Die Bünde waren, während die Familien erschüttert und das jüdische Schulwerk erst im Aufbau war, die einzige Institution, in der den Jugendlichen ‚jüdisches Wissen‘ und ‚jüdisches Bewusstsein‘ und die Möglichkeit der Einordnung in eine Jugendgemeinschaft gegeben wurde.“27 Und die Richtung, in die - wenn auch unterschiedlich ausgeprägt - sämtliche Gruppierungen sehr bald tendierten, war eindeutig und erfasste auch die Angehörigen der so genannten „deutsch-jüdischen“ Jugend. Diese, so konstatierte etwa Hans Berkowicz im November 1934 mit Blick auf die Kölner Verhältnisse, wolle „heute ebenfalls einen positiv jüdischen Weg gehen“, da sie erkannt habe, „dass die deutsch-jüdische Idee heute ihre Sinngebung nur vom Jüdischen her erfahren“ könne. Daher seien die Verantwortlichen und Angehörigen der ehemals ausgeprägt deutsch orientierten Verbände nunmehr bereit, „einen scharfen Trennungsstrich zwischen sich und der Assimilation von vor 1933“ zu ziehen. „Also auch sie schöpfen aus dem Reichtum jüdischer Vergangenheit.“ Zugleich konstatierte Berkowicz durchaus Probleme, die Arbeit und Alltag der jüdischen Jugendbewegung nach 1933 nicht unerheblich beeinträchtigten. Dabei machte er insbesondere die 1933/34 auszumachende „Masseninflation in die Bünde“ als stark belastenden Faktor aus, weil diese „naturgemäß“ auf „eine zahlenmäßig schwache Führerschaft“ stoßen musste, die sich aufgrund zunehmender Emigrationsbestrebungen nach Palästina ins27 Pilarczyk, Gemeinschaft, S. 100 und 102. So formulierte es bereits im November 1934 Hans Berkowicz im Gemeindeblatt der Synagogengemeinde Köln (s.o.): „Und diese Parolen [der bündischen Jugendbewegung] von damals wurden zur Forderung der jüdischen Jugend von heute, die die jüdische Gesellschaft in ein Trümmerfeld verwandelt sieht. Die Stützen der jüdischen Jugend, ihre Erziehungsfaktoren - vom pädagogischen Gesichtspunkt aus betrachtet - versagen: das Elternhaus, die Familie ist in der Krise, sowohl in der ökonomischen als auch in der geistigen, - die jüdische Schule ist erst im Aufbau begriffen - letzter Ausweg: der Bund. - Wie sehen nun unsere Bünde aus? Vielfach ihre Zahl, vielfach ihre Ideologien!“ (Dort auch das folgende Zitat). de mehrere Stunden in der Woche jüdisches Schrifttum in der Art zu studieren, wie es unser Lehrhaus auffasst.“ So sollte die „gesamte Lehrtätigkeit außerhalb der Schulen“ unter dem Dach des „Lehrhauses“ zentralisiert und konzentriert und damit in die „neutralen, weil echt jüdischen“ Hände des Rabbinats gelegt werden. „So wird sich wohl auch jene furchtbare und beschämende Kluft überbrücken lassen, die leider noch immer zwischen der bündischen Jugend und dem jüdischen Lehrer besteht.“26 Wenn die von Hermann Simons favorisierte konkrete Umsetzung eines solchen Ansatzes und der Leitung des Rabbinats auch kaum Aussicht auf Erfolg haben konnte, war sein Vorschlag doch als konkreter Beleg für das Ringen anzusehen, mit dem sich die jüdische Jugendbewegung nach dem Umsturz des Jahres 1933 auch in Köln konfrontiert sah. Gemeinschaftsvorstellungen und Gemeinschaftserziehung der jüdischen Jugendbewegung, so die rückblickenden Erkenntnisse, änderten sich seitdem unter dem Druck der politischen Ereignisse. „Dieser Prozess ist gekennzeichnet durch Politisierung, Ideologisierung und Institutionalisierung der Jugendarbeit“, wobei den Gruppierungen der Jugendbewegung - durchaus im Sinne von Hermann Simons - in der damaligen Situation eine erhebliche 26 Das „Freie Jüdische Lehrhaus“ war eine 1920 in Frankfurt als „Jüdische Volkshochschule“ ins Leben gerufene, 1926 aber bereits wieder geschlossene jüdische Einrichtung zur Erwachsenenbildung. 1933 wird das „Lehrhaus“ unter der Leitung von Martin Buber neu eröffnet, um in der immer feindlicher werdenden Umwelt des nationalsozialistischen Deutschland jüdische Menschen zu stärken und sie zu befähigen, ihre Existenz zu retten. Hierbei soll insbesondere die Suche nach gemeinschaftsstiftenden Elementen für Jüdinnen und Juden helfen, wobei - in deutlicher Abweichung vom Zionismus - nicht ein eigener Staat, sondern die Pflege und Erhaltung der jüdischen Kultur als zentrale Aufgabe definiert sind. Übergeordnetes Ziel aller Bestrebungen des „Lehrhauses“ war eine selbstbewusste, gebildete jüdische Bevölkerung, für die nun auch all jene zurückgewonnen werden sollten, für die ihre Religion längst etwas Fremdes geworden war. Der Erfolg des Frankfurter Lehrhauses führte in den 1920ern zur Gründung weiterer solcher Einrichtungen in Berlin, Breslau, Köln, Dresden, Karlsruhe, Mannheim, Stuttgart und Wiesbaden, die 1938 allesamt geschlossen wurden. (Vgl. http://www.lehrhaus-bamberg.de/tradition-des-juedischen-lehrhauses/ und https://de.wikipedia.org/wiki/Freies_J%C3%BCdisches_Lehrhaus.)
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